Vergebung, loslassen und sich befreien – das klingt so einfach. Ist es aber nicht, oder doch?
Ja, im Grunde ist es auch einfach zu vergeben, allerdings nicht immer leicht. Es ist schwierig alle belastenden Gefühle, Emotionen und Erinnerungen loszulassen.
Ein Grund dafür ist: Gerade weil wir diese Gefühle nicht haben wollen, neigen wir dazu sie zu unterdrücken und das kostet uns zusätzlich viel Kraft.
Aber alle Gefühle wollen gesehen und angenommen werden. Es ist das innere Kind, das verletzt ist und in seinem Leiden respektiert und getröstet werden will.
Doch wir haben oft Angst vor der Wunde im Herzen, vor der Verletzung und all das noch einmal zu spüren. Deshalb drücken die meisten Menschen ihr Gefühle und alles, was dieses alte Thema berühren könnte einfach weg.
Deshalb: Vergebung ist zwar einfach, doch nicht immer leicht.
Um zu vergeben, musst du wissen, wie es geht und du musst es wollen. Du brauchst den Wunsch zu vergeben.
Jeder Mensch war schon eimal Opfer und auch Täter – zum Beispiel in einer Paarbeziehung oder am Arbeitsplatz. Wie zwei Seiten einer Medaille bilden Täter und Opfer eine leidvolle Symbiose, da der eine nicht ohne den anderen existieren kann.
Im Alltag können wir vier Menschen ausmachen, denen es zu vergeben gilt. Mehr sind es nicht und ihnen zu vergeben, befreit uns rasch von
- Kummer und Sorgen (1. mentale Ebene),
- destruktiven Gefühlen (2. emotionale Ebene) und
- Stress (3. körperliche Ebene).
Die ersten Menschen,
denen wir verzeihen dürfen und müssen, sind unsere Eltern. Viele Menschen leiden an pränatalen oder frühkindlichen Verletzungen, emotionale und körperliche Misshandlungen, sowie an beschämenden Erinnerungen ihrer Kindheit.
80% aller Menschen, die sich in einer Therapie befinden, geben als Ursache ihrer seelischen Leiden und Probleme die Eltern an. Ihre Liste an Schuldzuweisungen ist lang: zerrüttete Beziehungen, alle möglichen gesundheitlichen Probleme, Neurosen, Süchte oder Unfähigkeit den eigenen Weg im Leben zu finden, sind nur wenige Bespiele für das man die Eltern verantwortlich machen kann.
Es gilt sie loszulassen, falls man erwachsen und selbstständig werden will. Selbstverständlich bedeutet Vergebung nicht ein erlittenes Unrecht zu Recht zu erklären, und Vergebung bedeutet auch nicht einem Täter – in diesem Fall dem Vater oder der Mutter – zu erlauben uns weiterhin zu verletzten.
Doch jedes Mal, wenn ein erwachsener Mensch seinen Eltern ein Kindheitsdrama vorwirft, dann fällt er aus seinem Erwachsenen-Ich in sein Kind-Ich zurück. Das kleine Mädchen oder der kleine Junge meldet sich dann zu Wort.
Leider benutzen wir auf einer tieferen Ebene unserer Vorwürfe auch, um beispielsweise an unserer Enttäuschung und Wut festzuhalten. Indem man sich Jahrzehnte an seine Opferrolle klammert, zeigt man damit auch, dass man sich eben Jahrzehnte emotional nicht weiterentwickelt hat.
Sicherlich wurde man verletzt, doch die Heilung des Erwachsenen und des inneren Kindes sind möglich.
Die zweiten Menschen, denen wir vergeben dürfen,
sind unsere sogenannten Exen. Ich meine damit die Ex-Ehepartner, die Ex-Freunde, die Ex-Geschäftspartner usw. Es sind all jene, die unser Leben beeinflussten, und welchen wir immer noch vorwerfen, dass sie uns enttäuscht, belogen und betrogen haben.
Solange wir jemand anderem allerdings noch etwas nachtragen, sind wir in einem Täter-Opfer-Spiel verbunden. Wir machen unser Glück von jemandem abhängig, von dem wir gar keine gute Meinung haben. Wie soll das funktionieren? Diesem Menschen zu vergeben, loszulassen und sich dem Leben zuzuwenden ist sinnvoll.
Leider liebt und bevorzugt unser Gehirn das Bekannte. Alles, was wir kennen, fühlt sich vertraut und sicher an, weshalb sich Menschen bisweilen an toxischen Beziehungen und Gewohnheiten klammern, selbst wenn sie davon einen ernsten Schaden nehmen.
All das gilt es anzuschauen, zu vergeben und sich einem erfüllten und freudvollem Leben zuzuwenden.
Vielleicht darf man sich vorher eingestehen, dass einem die belastete Beziehung auch als eine Art Projektionsfläche diente? So ergeben sich intime Beziehungen auch aus dem unbewussten Wunsch heraus, im Gegenüber das zu finden, was man in der Kindheit vermisste.
Wenn eine Beziehung scheiterte, weil vielleicht die Kindheitsbedürfnisse unerfüllt blieben, weil reichlich rote Knöpfe gedrückt wurden oder weil es nicht geschafft haben echte Nähe zu etablieren, dann gilt es allen Exen zu vergeben.
Ob man belogen, betrogen und bestohlen wurde, ist irrelevant, denn man war an der Beziehung beteiligt und hat das Problem mit erschaffen. Dem anderen hingegen zu vergeben ist auch ein Akt der Selbstliebe, denn er macht uns frei.
Um uns beispielsweise für eine neue Beziehung zu öffnen, müssen wir die Vorwürfe, den Groll und die Verbitterung vollständig loslassen, sonst nehmen unseren Täter unbewusst mit in die neue Partnerschaft.
»Willst du einen Fluss überqueren, dann bleibe nicht am Ufer stehen.«
Zur dritten Kategorie gehören alle anderen,
das heißt all jene Menschen, denen wir jemals begegnet oder auch nicht begegnet sind. Bedenke bitte, dass wir mit jedem Wort und mit jedem Gedanken unsere persönlichen Lebensumstände mit kreieren.
Nicht nur, dass unser innerer Dialog unsere Stimmung bestimmt, sondern wir beeinflussen unsere Mitmenschen auch über Spiegelneuronen. Zusätzlich senden und empfangen wir unablässig Informationen.
In der Tat dürfen wir sagen »heilen wir uns selbst, dann heilt auch immer etwas in der Welt«, denn wir nehmen auf vielen Ebenen Einfluss.
Allen anderen so rasch wie möglich zu verzeihen ist wichtig, weshalb der Verlag für deutsche Wirtschaft 2010 einen Artikel unter dem Titel »Vergebung ist besser für die Gesundheit« veröffentlichte.
Man wies dabei auf den volkswirtschaftlichen Schaden hin, der durch Querelen am Arbeitsplatz verursach wird.
Streit, Mobbing und ungeklärte Konflikte am Arbeitsplatz können zu Fehlentscheidungen, Arbeitsausfälle durch Krankheit bis hin zu Arbeitsunfälle führen. Der volkswirtschaftliche Schaden durch diesen Flaschenhals wird in Deutschland jährlich auf circa 20 Milliarden Euro beziffert.
Trotzdem bedeutet Vergebung nicht, sich als Fußabtreter behandeln zu lassen – im Gegenteil. Du kannst und darfst ganz entschieden für deine Rechte eintreten, doch das ganz ausgeglichen, statt sich Kopf-, Herz- und Bauchschmerzen zu bereiten.
Damit kommen wir zum vierten Menschen,
dem wir vergeben wollen: zu uns selbst.
Ob wir Täter waren oder Opfer, wir dürfen uns alles selbst vergeben und sämtliche Schuldgefühle entlassen, um eine tiefere Lebensfreude zu erfahren. Das Ziel lautet sich mit sich selbst ins Reine kommen und sich mit sich selbst versöhnen.
Wie du weißt, fühlen wir uns nicht nur als Täter, sondern auch Opfer bisweilen schuldig. Möglicherweise kennst du Selbstvorwürfe nach dem Motto: »wie konnte ich nur so dumm sein, mich in diese Situation manövrieren oder mich auf diesen Menschen einlassen?«
Jede Vergebung beinhaltet deshalb auch die Selbstvergebung und dieses Thema ist so umfangreich, dass ich Ihnen hier schlicht einige Fragen stelle, um die Absurdität sich selbst nicht zu vergeben, zu verdeutlichen.
Gleichgültig, was in deinem Leben geschehen sein mag – es ist vorbei.
- Wie lange (Tage, Monate, Jahre) will man sich noch quälen? Nenne eine Zahl.
- Wird das Leben besser, wenn man sich Vorwürfe macht?
- Sind Menschen, die sich selbst bestrafen, indem sie erfolglos bleiben oder eine Krankheit manifestieren, bessere Menschen?
- Wann hat jemand, der sich selbst geißelt, die Absolution verdient?
Vergebung kann man lernen
Die einfachste Art sich von negativen Gedanken und Gefühlen zu lösen ist die Vergebung.
Leicht gesagt? Doch Vergebung kann man lernen. Vergebung befreit. Sie befreit uns von einer Last, die wir doch gar nicht tragen wollen. Wer möchte schon sein Leben lang einen großen Rucksack voller Probleme, alter Konflikte und Ängste auf den Schultern haben?
Jeder Mensch möchte doch glücklich sein, anstelle sich an die bedrückenden Ereignisse der Vergangenheit zu klammern. Vergebung heilt und macht das Leben leichter.